Error 404 - wäre allenfalls der ausländische Richter zu bevorzugen?

Im September des letzten Jahres wurde an dieser Stelle aufgezeigt, in welchen Konstellationen dem ausländischen Recht oder der ausländischen Gerichtsbarkeit auch in der Schweiz und trotz anderslautender Vereinbarung im Vertrag oder in den AGB – also wider Willen – Beachtung geschenkt werden muss. Nachfolgend wird eine Konstellation diskutiert, bei der man als Dienstleister in Erwägung ziehen könnte, ausnahmsweise bewusst der ausländischen Gerichtsbarkeit und der dort anwendbaren Rechtsordnung Vorrang zu gewähren.
 

Kündigungsfristen sind zwar üblich, aber im Schweizer Auftragsrecht unbeachtlich

Schliesst ein Finanzdienstleister einen Vertrag ab, zum Beispiel zur Erbringung von Anlageberatungs- oder Vermögensverwaltungsdienstleistungen, liegt in aller Regel ein Auftragsverhältnis nach Obligationenrecht (OR) vor. Häufig einigen sich die Parteien auf spezifische Kündigungsklauseln und es wird stipuliert, dass der Vertag z.B. lediglich «quartalsweise» und «unter Einhaltung einer Kündigungsfrist» aufgelöst werden kann. Wenngleich weit verbreitet, sind solche Abmachungen ungültig. Der Grund dafür liegt in Art. 404 Abs. 1 OR: Die Norm schreibt vor, dass das Auftragsverhältnis mit jederzeitiger Wirkung aufgelöst werden kann. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist dieses jederzeitige Widerrufsrecht zwingender Natur und darf vertraglich weder wegbedungen noch beschränkt werden. Dies wird mit dem einem jedem Auftragsverhältnis zugrundeliegenden Vertrauensverhältnis begründet: Es ergebe keinen Sinn, den Auftrag noch aufrechterhalten zu wollen, wenn dieses Verhältnis zwischen den Parteien zerstört ist (vgl. BGE 115 II 464).

Umgehung durch Anwendung eines ausländischen Rechts – oder sogar durch Wahl eines «fremden Richters»?

Sieht man einmal von Verträgen mit Verbrauchern ab, bei denen weder Rechts- noch Gerichtsstandswahl beachtlich sind (siehe dazu den Blog zum Thema «Kundenschutz ohne Grenzen? Ausländische Normen in der Schweiz»), könnte man sich als Anbieter überlegen, seinen Vertag einer ausländischen, «liberaleren» Rechtsordnung zu unterstellen, um so der starren Norm in Art. 404 OR auszuweichen. In Frage käme zum Beispiel die Wahl Luxemburgischen Rechts. Im reinen Binnen-Vertragsverhältnis (zwischen einem Schweizer Dienstleister und seinem ebenfalls in der Schweiz ansässigen Kunden) ist dies aber problematisch: im Streitfall vor einem hiesigen Gericht wäre eine solche Rechtswahl mangels Auslandbezug des Sachverhalts und aufgrund des offensichtlichen Umgehungscharakters kaum durchsetzbar. Man müsste also wohl einen Schritt weiter gehen und sich überlegen, neben der Wahl des ausländischen Rechts auch das ausländische Gericht für zuständig zu erklären. In einem solchen Fall wäre es dann am gewählten Gericht zu prüfen, ob es für die Streitsache zuständig ist und ob die Rechtswahlklausel gültig ist. Würde man sich z.B. für die Gerichte Luxemburgs entscheiden, hätte das dortige Gericht (gestützt auf das Lugano-Übereinkommen) zunächst zu prüfen, ob die Wahl gültig zustande gekommen ist. Die Tatsache, dass wie vorliegend zwei Parteien im selben Lugano-Vertragsstaat (hier: Schweiz) sitzen, spricht nicht gegen die Gerichtsstandsklausel – solange ein Lugano-gebundener Staat (z.B. Luxemburg) vereinbart wurde. Nicht restlos geklärt ist hingegen die Frage, ob ein Gericht seine Zuständigkeit in Konstellationen wie im vorliegenden Beispielfall deshalb ablehnen würde, weil das Vertragsverhältnis isoliert betrachtet keinen internationalen Bezug aufweist. Gerichtlich entschieden wurde dieser Fall noch nicht, aber man könnte überzeugend argumentieren, dass die Elemente «Rechtswahl» in Kombination mit «Gerichtsstandsklausel» durch zwei ausländische Parteien dem Sachverhalt genügende Internationalität verleihen.

Zurück zum Start: sehr oft wird es wohl beim «Schweizer Richter» bleiben

Nimmt der luxemburgische Richter seine Zuständigkeit an, hätte man nun zwar Art. 404 Abs. 1 OR vom Tisch – der Richter schenkte dieser Norm wohl keine Beachtung und ein Urteil wäre in der Schweiz nach Massgabe des Lugano-Übereinkommens «automatisch» zu vollstrecken. Dennoch stellen sich weitere Fragen, die es zu beachten gilt. So kommen beispielsweise vor einem EU-Gericht grundsätzlich neben nationalem Recht auch sämtliche anwendbaren (Schutz-)Bestimmungen des EU-Gemeinschaftsrechts zur Anwendung. Dies führt zu einer nur schwer vorhersehbaren Komplexität der Rechtslage. Dazu kommen sowohl sprachliche, verfahrensrechtliche und auch rein logistische Hürden, die gegen einen Verzicht auf die Gerichtsbarkeit am eigenen Schweizer Sitz sprechen. Daher ist man gut beraten, vor Abschluss einer Vereinbarung zugunsten eines ausländischen Gerichts die damit verbundenen Folgen genau prüfen zu lassen und dann abzuwägen, ob sich dieser Mehraufwand am Ende rechnet. Dies wird wohl eher selten der Fall sein.

16.04.2020